Salat machen oder wie Lernen funktioniert

Es ist Abendbrotzeit. Ich koche. Die Kinder und der Herzensmann toben noch durch den Garten. Dann möchte der Herzensmann den Salat vorbereiten. Während er alle Zutaten aus dem Kühlschrank holt, kommt der kleine Mann dazu. Er geht an die Besteckschublade und nimmt ein Kindermesser heraus, setzt sich an den Tisch und möchte die Gurke klein schneiden. Ich sehe, dass das nicht funktionieren kann. Das Messer ist nicht zum Schneiden geeignet. “Du brauchst ein richtiges Messer dazu”, kommentiere ich. Also steht der kleine Mann wieder auf und holt sich ein normales Messer, aber auch das kann kein gutes Gurken-schneiden-Erlebnis geben. Also bitte ich ihn sich auf seinen Stuhl an den Tisch zu setzen, er bekommt ein Brettchen und ein scharfes Küchenmesser. Ich gebe es ihm in die Hand und er beginnt zu schneiden. Neben Gurke schneidet er dann noch die Tomate, Paprika und mit Hilfe des Herzensmannes auch Fenchel für den Salat. Gegessen wird der Salat zum Abendbrot natürlich wie immer. Alles bis auf die Salatblätter wandert in den Mund. 

Doch warum erzähle ich von dieser kleinen Begebenheit. Sie zeigt für mich sehr deutlich, wie Lernen funktioniert. Es ist das erste Mal, dass der kleine Mann von mir bewusst ein scharfes Messer in die Hand bekommen hat. Doch warum gerade in diesem Moment, schneidet er doch schon seit einer Weile alles was ihm auf den Teller kommt. Ob Gurke, Würstchen oder Brot, auch Spirelli wurden von ihm beim Essen klein geschnitten. Immer mit einem Kindermesser. Was machte diesen Moment so besonders? 

  1. Wir sind alle entspannt. Das war nicht den ganzen Tag so. Doch in diesem Moment bin vor allem ich wieder entspannt und kann so die Bedürfnisse wahrnehmen. 
  2. Der kleine Mann zeigt sehr deutlich sein Bedürfnis. Er will Gurke für den Salat schneiden. Es soll eine Erfahrung für ihn werden und er ist bereit dazu. 
  3. Ich vertraue ihm. Dadurch kann ich ihm die Erfahrung ermöglichen, die er wirklich braucht. Ich gebe ihm das scharfe Küchenmesser. 

Diese drei Punkte sind für mich beim Lernen die Wichtigsten: Entspanntheit, intrinsische Motivation und Vertrauen. Diese drei Faktoren ermöglichen es uns genau die Dinge zu lernen, zu denen wir bereit sind und die wir brauchen. 

Stellen wir uns die gegenteiligen Situationen vor. Wir kommen gestresst von einer Nachmittagsverabredung. Die Kinder sind müde und hungrig, ich bin es ebenso. Hinzu kommt noch der Stress des Nachhausewegs, die Gedanken sind immer beim nächsten Schritt und eigentlich wäre ich am Liebsten schon längst in Ruhe auf dem Sofa. In solch einer  Ausgangssituation kommt eher ein genervtes “Lass mich das bitte alleine machen!”, oder so ähnlich. Es fehlt die Entspanntheit. 

Oder wir wollen gemeinsam das Abendessen vorbereiten. Der kleine Mann spielt noch und ich rufe ihn, damit er hilft. Er soll mir jetzt den Salat schneiden. Der kleine Mann ist aber noch tief in seiner Spielwelt versunken, beschäftigt mit Feuerwehr, Bauarbeitern oder anderen wilden Abenteuern. Er will nicht. Es widerstrebt ihm jetzt Salat zu schneiden. Es ist viel wichtiger das Haus zu löschen. Es fehlt die intrinsische Motivation. 

Und das Vertrauen? Das ist bei mir immer da. Ich vertraue meinen Kindern immer, in jeder Situation. Gemeinsam gehen wir immer ein Stück weiter, kann ich ihnen mehr zu trauen und so kann ich ihm im richtigen Moment ein scharfes Messer in die Hand geben. Denn ich weiß, dass er damit keine Dummheiten machen wird und er spürt mein Vertrauen in ihn. Dadurch möchte er es gut machen, er fühlt sich bestärkt in seinem Wunsch. Am Ende sind wir beide stolz. 

Ich wünsche mir, dass diese drei Punkte mehr und mehr in den Situationen berücksichtigt werden, in denen wir Lernen wollen, sollen und dürfen. 

Mein Nähe – Overflow

Der große Mann ist nun seit drei Wochen zu Hause. Das ist schön und gleichzeitig auch anstrengend. Für mich. Denn auch ich bin viel zu Hause, sitze am Schreibtisch, lerne und werkel vor mich rum. So sind wir gerade mehr oder weniger den ganzen Tag zusammen. Also nicht immer im selben Raum und wir gehen ja auch oft genug unseren Beschäftigungen nach. Ich bin in der Hochschule. Der große Mann kümmert sich um den kleinen Mann, macht Besorgungen etc. Aber wir sind so viel zusammen wie sonst nicht. Nach drei Wochen komme ich da an meine Grenzen. Ich bin schneller genervt, störe mich an Sinnlosigkeiten und sehne mir das Ende der Elternzeit herbei. Gleichzeitig stecke ich in einem Zwiespalt. Denn ich möchte die Zeit neben den Prüfungen ja auch genießen, denn schnell genug muss er wieder arbeiten und ist den ganzen Tag weg. Und unsere gemeinsame Zeit beschränkt sich wieder auf einige wenige Stunden am Abend und das Wochenende.

Diese Grenze an Nähe kenne ich von mir bereits. Auch mit sehr guten Freunden kann ich nicht extrem viel und auf Dauer zusammen sein. Nach langen (max 10 Tagen wenn ich mich richtig erinnere) gemeinsamen Sommerurlauben brauchte ich erstmal eine halbe Woche Sendepause. Wenn man bedenkt, dass wir uns sonst im Alltag ohne Probleme jeden Tag sehen konnten, war das dann doch ungewöhnlich. Aber wir hatten ja auch unterschiedliche Schulen, Nachmittagsbeschäftigungen wie Musikschule oder ähnliches die nicht gemeinsam waren und so genügend Abstand. Für mich ist mein Verhalten also nicht ganz ungewöhnlich und neu. Mit dem großen Mann hatte ich diese, meine Grenze nur noch nicht festgestellt. Auch im Sommer konnten wir problemlos vier Wochen zusammen sein. Da war jedoch auch ein Urlaub dazwischen. So scheint der Umgebungswechsel meine persönliche Grenze an Nähe noch zu verändern. Das wusste ich bisher noch nicht. Jetzt sind wir die ganze Zeit zu Hause (bis jetzt*). Die Rollen sind mehr oder weniger festgelegt. Jeder spielt seinen Part in unserer kleinen Familie. Und so hängen wir eben mehr oder weniger aufeinander.

Heute bin ich jetzt erstmal geflüchtet – in die Hochschule – und hoffe, dass der Vormittag woanders schon ein bisschen was bringt. Denn eigentlich lerne ich gerne zu Hause. Dort habe ich alles Vorort. Ich schleppe nicht gerne meine Kilos an Ordnern voller Skripten mit mir herum. Sitze nicht gerne in der Bibliothek. Ich mag meinen unaufgeräumten Schreibtisch, meinen bequemeren Stuhl (in der Hochschule tut einem ziemlich schnell der Hintern weh). Ich lerne gerne ein paar Stunden am Stück und unterbreche dann um irgendetwas im Haushalt zu machen (besonders gerne zeitlich begrenzte Aufgaben wie Spülmaschine ausräumen, oder Wäsche waschen, aufhängen). So kann ich meinem Kopf eine kleine Pause gönnen, bringe meinen Stoffwechsel wieder in Gang. Nach nun fünf Semestern für Prüfungen lernen weiß ich, wie es am Besten funktioniert. Wenn ich ganz für mich bin. Das bin ich seit gut 13 Monaten nicht mehr. Muss mich für zwei Semester umstellen auf ‘lernen mit Kind’. Gar nicht so leicht. Im Moment klappt es ganz gut, da ich durch die Elternzeit zumindest fast für mich bin. Ich kann meinen Lernrhythmus frei wählen. Kann zwischen durch mit dem kleinen Mann spielen oder Wäsche machen. Also eigentlich perfekt. Wäre da nicht mein persönlicher Nähe – Overflow.

* Zum Abschluss der Elternzeit und meiner beendetet Prüfungszeit gönnen wir uns noch ein Wochenende “woanders”. Mehr dazu dann wenn es soweit ist.