Im Zentrum

Ich wache auf. Es ist dunkel um mich. Ich höre, wie Regentropfen auf das Zelt tropfen. Wie die letzten Nächte also auch. Doch es hört sich stärker an. Der Nieselregen der letzten beiden Nächte war leichter, sanfter. Diesmal sind es schwerere Tropfen. Ich drehe mich um und versuche wieder einzuschlafen. Doch der Herzensmann ist nun auch wach. Er steht auf und fragt, ob noch jemand aufs Klo muss. Ich müsste, aber ich will nicht auf stehen. Nicht bei dem Regen. Auch mit dem Septembermädchen sollte ich aufs Klo gehen. Besonders wenn es jetzt noch regnet und das Wasser ringsum einen herum läuft. Aber ich wecke sie nicht. Hoffe, dass der Schlafsack trocken bleibt.

Also versuche ich erneut wieder einzuschlafen. Doch bevor ich weg nicke mischt sich ein neues Geräusch in das Pladdern des Regens. Es rumpumpelt und kracht. Ich frage mich, ob und wann ich schon mal ein Gewitter im Zelt erlebt habe. Wahrscheinlich irgendwann mal mit meinen Eltern. Aber erinnern kann ich mich daran nicht. Inzwischen sehe ich immer wieder das Zelt hell erleuchtet. Es zuckt gespenstisch über den Himmel. Die Perspektive aus dem Zelt trägt so einiges dazu bei. Doch noch kommen die Donner danach in ausreichendem Abstand. Das Krachen wird über unseren Köpfen hin und her geworfen. Es hallt von den Wolken wieder und wieder. Inzwischen überlappen sich die einzelnen Donnerschläge. Ich habe das Gefühl als kracht es genau um uns herum. Wie sicher bin ich eigentlich in einem Zelt? Sollten wir mit den Kindern ins Auto huschen? Doch dann sind wir nass und beide wach. Letzteres lässt bei dem Krach auch nicht mehr lange auf sich warten. Das Septembermädchen klammert sich an mich. Umschlingt meinen Arm und hält sich gleichzeitig die Ohren zu. Der Lärm ist inzwischen unglaublich. Der Regen prasselt aufs Zelt. Die Donnerschläge hallen über unseren Köpfen. Ich höre leises Gemurmel vom Herzensmann. Eigentlich liegt er direkt neben mir. Seine Worte kann ich nicht verstehen. Er versucht den Dezemberjungen zu beruhigen. Auch ich spreche mit dem Septembermädchen. Summe leise vor mich hin. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich damit eher mich beruhige oder das Septembermädchen. Wahrscheinlich beides. Dann mischt sich ein neues Geräusch in die Kulisse. Es klingt wie die Sirene aus meinen Kindheitstagen. Immer Mittwochs um drei. Dann wurden die Sirenen in der Stadt getestet. Irgendwann wurden sie abgebaut und durch irgendetwas Neues ersetzt. Dann war es still Mittwochs um drei. Als wir das letzte Mal meine Großmutti besuchten hörte ich sie wieder. Auf dem Land werden die Sirenen noch getestet. Doch nun mitten im Gewitter die Sirene zu hören war nichts was uns Sicherheit gab. Der Herzensmann dreht sich zu mir. Hörst du das auch? Ist das eine Sirene?, fragt er. Ich höre die Frage hinter der Frage. Den Zweifel. Doch bevor wir weiter darüber nach denken wird die Sirene wieder leiser. Am nächsten Morgen erfahren wir, dass der Blitz vermutlich in ein Haus in Prerow eingeschlagen hat.

Nun zieht das Gewitter langsam weiter. Das Septembermädchen schläft dicht an mich gekuschelt ein. Dass das Gewitter noch ein mal zurückkommt verschläft sie dann. Und ich liege im Zelt und denke darüber nach, dass es ja eigentlich auch Gewittern muss. Zu meinem Geburtstag gewittert es schließlich (fast) immer.