Im Moment wird viel auf die Schule und auf die Bildungsidee unseres Landes geschimpft. Verständlich. Hat doch die Bildungsidee schon einige Jahre auf dem Buckel und auswendig lernen ist nun auch keine Bildung, aber gut. Das kann man diskutieren und sollte auch getan werden. Bitte mit sinnvollen (!) Lösungen. Warum ich jetzt einen Blogpost zu Schule schreibe, hat einen anderen Grund. Denn es ist für die Leser, die hier schon länger mitlesen eigentlich nichts ganz Neues, dass ich mich mit freilernen und unschooling beschäftige und die Idee gut finde. Wie kommt es dann, dass der Dezemberjunge in die Waldorfschule geht.
Vor anderthalb Jahren rückte der 6. Geburtstag des Dezemberjungen näher und näher. Im Kindergarten war er inzwischen ein Vorschulkind und freute sich darauf bald ein Schulkind zu werden. Für uns Eltern war klar, dass wir uns keine der staatlichen Schulen hier vorstellen konnten. Also schauten wir uns die Alternativen in der Umgebung an. Da waren die örtliche Waldorfschule und eine Freie Grundschule einige Dörfer weiter. An beiden Schulen meldeten wir den Dezemberjunge an um die Schulen kennen zulernen und auch dem Dezemberjunge die Möglichkeit zu geben, die Schulen kennen zu lernen. Irgendwann Anfang 2019 hatten wir dann an beiden Schulen die notwendigen Termine durchlaufen und die Entscheidung stand an. Für uns Eltern wäre die Entscheidung sehr schwer gewesen. Vom Konzept und der Art und Weise, wie wir die Beziehung zwischen Lernbegleiter und Lernenden erleben konnten, hat uns die freie Schule besser gefallen. Doch die Aussicht auf einen langen Schulweg mit Bus. War für uns nicht von Anfang an begeisternd. Hinzu kam die Frage, wie der Schulweg und die Elternmitarbeit in unseren Alltag passten. Ebenso ist das Einzugsgebiet der Schule sehr groß. Freunde treffen, Geburtstagseinladungen usw. wären mit viel Autofahrerei verbunden. Gedanken, die sich Eltern eben so machen. Auch bei der Waldorfschule haben wir solche Gedanken gehabt. Erwachsenengedanken. Doch nicht nur wir sollten und wollten eine Entscheidung treffen. Denn nicht wir würden jeden Tag unsere Zeit dort verbringen, sondern der Dezemberjunge. Und so haben wir ihn gefragt, auf welche der beiden Schulen er gehen möchte.
Ja, der Dezemberjunge dürfte aus zwei Schulen selber entscheiden auf welche er geht. Sicher gibt es den ein oder anderen, der nun sagt, diese Entscheidung kann ein inzwischen siebenjähriger Junge nicht treffen. Sie ist viel zu weitreichend und so weiter. Nun ja, kann sein. Oder auch nicht. Wir Eltern haben eine Auswahl getroffen, die wir zu unserem Lebens- und Erziehungsstil passend gefunden haben. Und aus dieser Auswahl konnte der Dezemberjunge seine Auswahl treffen. Und die kam klar und deutlich und so sicher, dass ich wusste, diese Entscheidung ist für ihn richtig. Denn der Dezemberjunge antwortete mir auf die Frage, auf welche Schule er gehen möchte, nach kurzem überlegen. Ich weiß schon auf welche Schule ich gehen möchte, sagte er völlig überzeugt. „Wir fahren dann immer mit dem Fahrrad hin. Ich vorne weg und du hinterher. Ja, ich möchte auf die Waldorfschule gehen. Da kenn ich nämlich auch schon Kinder und mir gefällt der Schulhof so gut und der Kletterturm. Und ich möchte auf eine Schule gehen, die Tiere hat.“ So begründet und mit einer Selbstverständlichkeit war die Entscheidung gefallen. Ein Glück bekamen wir dann auch noch die Zusage von der Schule. Und so wurde der Dezemberjunge im September 2019 an der Waldorfschule eingeschult.
Und nun haben wir bereits ein halbes Jahr Schule hinter uns und aktuell auch einige Wochen der „ich weiß nicht genau Corona Schule“. Nach wie vor bin ich mit unserer bzw der Entscheidung des Dezemberjungen sehr zufrieden. Und auch der Dezemberjunge fühlt sich an der Waldorfschule wohl, das wichtigste für mich. Doch etwas anderes fällt mir immer wieder auf. In Gesprächen mit Freunden und Bekannten, wenn es um die Schulentscheidung geht und der Dezemberjunge mit hört, kommt von ihm immer ein selbstbewusstes „ich hab mir die Waldorfschule ausgesucht“ oder „weil ich auf die Waldorfschule gehen wollte“. Und das zeigt mir, dass es für ihn einen Riesen Unterschied macht. Denn wir alle wissen, es ist etwas anderes ob ich mich für etwas entscheide oder ob ich die Entscheidung vor gesetzt bekomme. Und natürlich war das erste halbe Jahr eine Eingewöhnungsphase. Es gab gute und nicht ganz so gute Tage. Doch auch da haben wir einen guten Modus gefunden. Und wenn es mal gar nicht gut lief, könnten wir einen Pausentag einlegen. Ohne Probleme und mit ausdrücklicher Genehmigung der Klassenlehrerin.
Wie es aussieht wen irgendwann die Schule wieder aufmacht, wird sich dann zeigen. Ob der Dezemberjunge in 8, 10 oder 12 Jahren immer noch auf die Waldorfschule geht, weiß ich nicht. Jetzt ist es für uns genau richtig. Ja auch in dieser komischen Zeit. Denn letzte Woche bekamen wir eine wunderbare Mail von der Klassenlehrerin. Die ich hier ausschnittsweise reinkopiere.
„Wie geht es Ihnen und Ihren Kindern? So viel Zeit, vielleicht Sorgen, so wenig Kontakte und Begegnungen- Aber immer hin schönstes Wetter! Ich hatte gehofft, dass wir bald wieder zu einem gewohnten Alltag zurückkehren können- aber im Moment sieht es meines Erachtens für uns “Erstklässler” noch nicht danach aus. Darum wende ich mich jetzt an Sie und würde Sie bitten, sofern Sie sich darauf einlassen wollen, mir ein wenig von Ihrem Kind zu berichten
– wie geht es, was fehlt, was braucht ihr Kind, was brauchen Sie als Eltern; was läuft gut, wo ist Freude… All das natürlich mit Blick auf die Entwicklung des Kindes und die Schule. Brauchen Sie (als Eltern) mehr Schulaufgaben zur Gestatung des Tagesablaufs? Braucht Ihr Kind schulisches Futter oder ist es mit sich selbst zufrieden?
Ich brauche an dieser Stelle nämlich ihre Unterstützung- und zwar möglichst individuell. Diese Zeit ist sehr besonders- und dies sollten wir uns deutlich machen. Ich möchte diese Zeit nicht dazu missbrauchen, Sie zu Lehrern ihrer Kinder zu machen sondern würde mir wünschen, dass viel Schönes entstehen kann. Aber auch Schulaugaufgaben können etwas Schönes sein… Doch hier soll sich niemand überfordert fühlen- nicht die Kinder und nicht die Eltern“
Und so bekommen wir jede Woche Ideen und halten den Kontakt. Aber es gibt keine Pflicht, keinen Druck. Und so kommen wir sehr entspannt durch die letzten Wochen. Und auch in dieser komischen Zeit merke ich, dass es dem Dezemberjunge an der Schule gefällt. Denn er vermisst sie.